der kuss

weggehen fortgehen reden reden reden
spazieren heute gestern verwechseln
nachlaufen nachlaufen
abschuss ich will nicht mehr unter einem dach sein mit jemandem der

es ist mir erst in den letzten 24 stunden klar geworden

und man sieht keinen unterschied!

dann fliegt sie davon

stegholz gespuckt.

Nach dem Begräbnis

An der Umgebung erkannte Jonas recht bald, dass er träumte. Die Stube und die Großmutter darin, an der er vorbei zog, die ihm unverständliches nachrief. Und dann in dem Zimmer. Und Vanessa saß da. Von allen Menschen auf der Welt. Vanessa saß vor ihm, ihm auch Nachts keine Ruhe gönnend. Er griff nach ihrer Hand. Sie zog sie weg. Er wollte sie mit einem Kuss begrüßen. Sie ertrug es steinern. Er setzte sich ihr gegenüber. Sie sah auf den Boden. Dann sah sie ihm in die Augen. Es war dunkler, als wären Stunden vergangen und hätten den Tag vorbeiziehen lassen. Vor dem Fenster schrie jemand, aber so weit entfernt, dass man nichts verstand.

"Warum liebst du mich? Wegen der Aufmerksamkeit? Weil ich schön bin? Kannst du schon etwas lieben, abgesehen von meinem Körper?"
"Ich liebe, was du in meinem Kopf machst. Ich liebe das Gefühl, dass du auslöst."
"Hat das etwas mit mir zu tun? Ist da irgendetwas, was du von mir liebst?"
"Woher soll ich das wissen? Ich kenne dich viel zu wenig. Ich kenne dich fast gar nicht."
"Und was ist das dann, was wir machen? Was ist das, was du glaubst in mir zu sehen?"
"Verständnis. Ich fühle ein Verständnis und ich fühle ein Begehren."
"Ein Begehren? Aber ich begehre dich nicht."
"Kannst du das schon so klar sagen?"
"Weil ich dich nicht kenne, meinst du?"
"Ja."
"Dein Begehren ist asymmetrisch. Du begehrst etwas, von dem du glaubst, dass ich es habe. Ich hab aber kein Verlangen nach dem, was du mir zeigst. Ich begehre deinen Körper nicht. Ich habe mich nicht in dich verliebt. Ich will nicht mit dir schlafen."
"Und wieso redest du dann mit mir? Du könntest mir doch auch einfach nicht antworten."
"Antworte ich dir?"
"Wir haben lange geredet!"
"Hast du mir dabei zugehört? Hast du verstanden, was ich gesagt habe?"
"Ja. Ich glaube schon."
"Was sage ich dir denn?"
"Du... du sagst mir nichts. Wären es Verhandlungen, die wir über etwas führen, du würdest zurückgelehnt am Ende des Tisches sitzen und mir ein gutes Gefühl geben, während ich mich zum Hampelmann mache. Würdest Dinge sagen, die ich als Zugeständnisse verstehe, die aber keine sind."
"Ich verkaufe aber nichts."
"Du gibst auch nicht viel."
"Du lässt mir keinen Raum, um etwas zu geben. Du nimmst so viel, ohne abzuwarten, was du bekommst.
Und wenn ich dir etwas gebe, dann verschlingst du es sofort. Du schlingst es herunter und verlangst nach mehr und mehr und mehr. Wenn ich dir etwas gebe, feuert es für eine Sekunde deinen Hochofen an, und dann glüht er wieder, verzehrend und rücksichtslos. Was soll ich dir geben? Du hast doch nichts davon. Du verschlingst nur alles. Du kannst nichts genießen, was passiert, und kannst nichts annehmen, weil du es sofort verbraucht hast. Du willst immer nur mehr und mehr und mehr und hast am Ende gar nichts."
"Aber wieso gibst du mir dann das wenige?"
"Du verstehst das falsch. Ich gebe dir gar nichts. Du saugst alle Radiowellen, die von mir ausgehen, auf, und glaubst, sie waren geheime Botschaften an dich. Du glaubst, dass ich mit dir rede. Du hörst gar nicht, was ich sage. Du nimmst und nimmst an. Die Basis dafür ist nur deine Projektion. Es hat nichts mit mir zu tun, was du machst. Und es hat nichts mit dir zu tun, was ich mache."
"Ist das eine Entscheidung?"
"Du nimmst mir die Entscheidung ab. Du handelst, als hätte ich entschieden. Ich brauche mich nicht entscheiden, wenn du das schon für mich gemacht hast."
"Ich will nicht so sein."
"Dann ändere dich. Aber du musst wissen, dass das wieder nichts mit mir zu tun hat. Du änderst dich vielleicht, ja, vielleicht ja wirklich, aber deswegen werde ich dich nicht attraktiv finden. Du hast den Moment überschritten, wo ich mich auf dich einlassen wollte."
"Die Zeit ist weiter gezogen?"
"Die Zeit zieht immer weiter"
"Ich hab dich verloren."
"Du hast mich nie gehabt."
"Hätte ich dich interessieren können? Zu irgendeinem Zeitpunkt?"
"Du bist vielleicht ein Idiot. Wir haben vielleicht vier Stunden geredet. Was für einen Zeitpunkt meinst du? Als ich dich zum Abschied auf die Wange küssen wollte, und du verklemmt zusammengezuckt bist?

Du interessierst mich, aber du ziehst Schlüsse und Aktionen daraus, und das ist nicht fair. Du lässt mich nicht ich sein. Du lässt mich nicht deine Projektionen abbauen, sollte ich das überhaupt wollen. Und ich habe überhaupt keine Lust, dir deine Projektionen abzubauen."
"Würdest du das wollen?"
lacht. "Deine Projektionen abbauen? Wozu? Warum sollte ich das wollen?"
"Ich weiß es nicht."

Jonas wachte auf. Es war mitten in der Nacht. Er sprang blind aus dem Bett, stürzte zum Tisch. Er kramte nach einem Stift, nach Papier. Er kritzelte mit zitternder Hand auf den Zettel. Nie gehabt. Attraktiv. Überschritten. Er legte sich wieder ins Bett.

Am nächsten Morgen hatte er keine Ahnung, was die Wörter bedeuteten. Nur Vanessa spukte noch in seinem Kopf, als er die Laudes aufschlug.

Wenn Wege sich trennen (für Gaby und Lukas)

Wie selbstverständlich leuchtet uns
das Licht den Weg
Und erst beim Stolpern merkt man
wie schwer es ohne geht.

Wenn alle Hoffnung mitgegeben
auf andern Pfaden leuchtend brennt
und alle Küsse Abschied streben
bleibt Angst vor dem, was man nicht kennt

So sehr vertraut schien doch der Pfad
und langsam immer weiter ziehend
dachte man, man ging gerad’
und plötzlich aus dem Unterholz die Abzweigung
gerad’ noch stolz
und froh und dann?
Allein.

Doch haben Pfade dieses Ding, sie kreuzen irgendwann.

Wir ziehen alle immer weiter
entfernen uns, nähern uns an
und freuen beim Abschied uns darauf
dass man sich bald begrüßen kann

Die Zeit zieht, nimmt das Leben mit
vermisst werd’t ihr auf jedem Schritt,
Und wenn wir nun beim Abschied stehen
freu ich mich auf das Wiedersehen.

Eichhörnchen

Ich sammelte die Zeit, die bleibt, wie ein Eichhörnchen, versteckte sie, als Sicherheit, für die Tage grau, die Nächte kalt. Die Momente gingen bald, von denen ich das halbe Jahr zehren muss, begehren muss, entbehren muss, zu denen ich blicken kann und sagen, dass alles gut ist, weil alles gut war. Und ich grabe und suche und dürste nach den Eindrücken die ich von dir hab. Und ich sehe, sie keimten, sie sind schöne Bäume, tragen Blüten und Früchte ins Grab. Und weit, weit zurück steht mein Leben bereit, bezogen zu werden, belogen zu werden von mir. Und steh ich eines Moments vor der Tür, und reiße sie auf, und hoffe dahinter die Früchte des Lebens zu sehn, steh ich an dem Abgrund, dem Ende Erinnerung und kann davon immer wieder gar nichts verstehn. Es war doch alles da und so gut hier versteckt, in Erinnerung sauber, tatsächlich verdreckt, ich suche die Sekunden, red' gar nicht von Stunden, bevor alles übersäht war von den Wunden der Zeit, und ich merk, ich wäre sofort gebunden, wärst du jetzt bereit. Ich schließe die Tür, an der ich riss, schmeiße ich sie zu, vergrabe die Zeiten und hoffe das Ruhe einkehrt. Und nächstes Mal, kommt nächstes Tal, ich komm dann nicht mehr zurück. Die Erinnerung bleibt als ein Stück von der Zeit, ihre Früchte vergiften das Land. Und während ich endlich, zum lieben bereit, fasse nach der nächstbesten Hand, vergesse ich langsam der Bäume Stand, geb auf die Schätze, lang vergraben, zieh mit dem Wind und lasse mich tragen von dem Wunsch noch ein bisschen mehr Zeit zu haben, mit dir, für den Weg. So fließe ich durch die Ewigkeit, schau, was ich erhasche, für des Herzens leere Tasche, öffne meine Arme weit.

moment

man sah ihr den sternenstaub in den augen an.
man sah so deutlich, wie viele sterne für sie vergehen mussten.
und wie wichtig alles das plötzlich war.
wie wichtig das ende so vieler welten.
nur für diesen moment. und schon war der moment wieder vorbei.

zurückgeworfen um millionen von gedanken starrte er in die richtung, wo gerade noch … was war dort gerade noch gewesen? vorbei, bevor es begonnen hatte.
ihm blieb nichts, außer der erinnerung. der erinnerung an das nichts, das ihn umgab.

(c) 2008ff
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