Ausreden statt Musik

Nach einigem Wandern durch die gefüllten Straßen, unterbrochen durch Sitzen am Kai, redend und erzählend, wie ich zum Kulturpessimisten geworden, durch zu viele schlechte Filme, Musikalben, Kunstgewöhnung, aber auch besprechend, Urlaubsplanung, Bretagne, Krk, beschlossen wir bei gehaltenen Händen, ein Stück Pizza und ein Eis zu holen und zu essen. Trotz Vorwarnungen meinerseits schlenderten wir zurück zu dem Club, dessen Besucheraltersdurchschnitt in den letzten fünf Jahren um fünf Jahre gesunken war, zahlten sogar dafür, dass unsere Handgelenke abgestempelt wurden und setzten uns, nach einer ernüchternden Besichtigung der allzu sehr sichtbaren Tanzfläche, deren Leere nur hie und da von Minderjährigen gebrochen wurde, die tanzten, als ob sie aufs Klo müssten, vor dem Club auf eine der zahlreichen Bänke, wo wir dann Smalltalk mit denen führten, die vor uns schon bei Banke saßen. Kein Bier, obgleich ich keines wollte, konnten wir noch zahlen, das Bare Geld ging alles drauf bei einem Eiskaffee, da gesellte sich ein älterer Mann, graues, langes Haar, Dreitagebart, eine Gitarre unterm Arm, selbige verziert mit Konsumabfall, zu uns, und bot uns an, ein Lied zu spielen, jedoch unter der Voraussetzung, dass er Geld dafür bekäme, drei Euro bräuchte er noch, für Zigaretten, wir hatten sie nicht, was ihn aber nicht davon abhielt, unsere Zeit zu füllen - oder zu vergeuden, je nach dem ob man wir oder das flirtende Pärchen auf der anderen Seite des Tisches, das lieber Ruhe gehabt hätte, oder wenigstens Ruhe gestört von Musik, nicht von Gejammer. Beinahe achtzig Cent waren schon am Tisch, als er immer noch Ausreden suchte, warum er seine Zeit zwar gerne aufwand, um uns vollzulabern, nicht aber, um uns vorzuspielen. Es gipfelte für mich darin, dass er eine Rune und eine Blume auf eine Serviette zeichnete, von der er behauptete, sie - die Zeichnung - sei mindestens 10 Euro wert. Er hatte nicht verstanden, dass wir ihm schon 100 Euro gegeben hätten, hätten wir sie bloß gehabt, nur damit er den Tisch, vielleicht auch das Lokal wechseln würde, jedoch hatten wir weder 100, noch 10, noch 3 Euro, sondern eben 80 Cent. Ich schlug dann vor, dass wir ihm die Zeichnung - von der er sagte, er würde sie uns schenken - überlassen würden, wenn er uns dafür - was auch immer uns geritten hatte - wenigstens etwas vorspielen würde! Als er darauf nicht einstieg, erklärte ich ihm, dass man bei vielen Downloadportalen die ersten dreißig Sekunden eines Songs gratis hören könne, und hier aber schon 80 Cent lagen - als er nicht aufhören wollte, Ausreden zu suchen, beschloss ich, das beste daraus zu machen, und nannte ihn einen, der wohl gar nicht spielen könne, und dessen Rolle darin bestünde, so zu tun, als könnte und wollte er es aber tun, und ich nahm meine 7 Cent wieder aus dem Pool der Kupfermünzen, mit dem Wort, dass es mir jetzt zu blöde sei, für eine nicht erbrachte Kulturleistung zu zahlen, die wahrscheinlich sowieso nur höchstens medioker wäre. Da stampfte er innerlich auf seine Erdgöttin und verließ uns beleidigt. Es war sein Pech, an den personifizierten aufgestauten Frust gegen alle, die Geld für mediokre Leistungen erwarten, mich, gelangt zu sein, und ich hegte tatsächlich keinen Groll, wenngleich er wohl sehr beleidigt schien. Wir hingegen versuchten unser Glück noch einmal im Club, ein letztes Mal, und während die anderen es wohl fanden, war ich nur traurig und küsste bald zum Abschied, am Heimweg dachte ich nach, dass mein Kulturpessimismus mir viele gesellschaftliche Türen verschloss und dafür sorgte, dass die anerkannten Orte des Spaßes und der Unterhaltung mir die Orte der höchsten Unentspanntheit immer waren und auch heute sind. Doch die erste Windmühle war geschlagen, wenngleich der Sieg ein bitterer war.

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