Die Sache mit E

Rechtzeitig zu Ferienbeginn war die Stimmung am Boden. Die Wohngemeinschaft würde bald aufgelöst werden, und während C sich schon vor zwei Wochen verabschiedet hatte – auch von ihrem Müll, der noch immer einen eklatanten Teil des Bodens und der Regale und des Kühlschranks füllte – waren A, B und D damit beschäftigt, sich gegenseitig auf die Palme zu bringen.
Es war ein von Anfang an zum Scheitern verurteiltes Projekt gewesen, die Wohnung war weder für eine WG noch für fünf Personen ausgelegt gewesen, fünf, weil D’s Freund E einen großen Teil seiner Zeit ebenfalls das Refugium als mit seines betrachtet hatte. Trotz mehrmaliger ernster Gespräche von A, B und C mit D über E war D nicht dazu zu bringen, E zu sagen, dass das so nicht ginge, dass er hier und da mal einen Einkauf übernahm und die anderen bekochte, aber ja an heißem Wasser zum Duschen und Heizen und knapper Zeit in Dusche und WC mitnaschte, so dass von den wertvollen, weil bezahlten Gütern den anderen um so weniger übrig blieb. D hatte natürlich eine andere Sicht der Dinge, E war ein Gast, und wenn D dadurch auch noch sexuelle Befriedigung bekam – und das war, unüberhörbar, der Fall – wer war D, sich anzumaßen, E aus der Wohnung zu werfen, in die kalte Welt?
Es sei natürlich D’s Sache, mit wem er sein Bett teile, aber es sei die Sache aller, mit wem alle ihre Gas- und Stromrechnung teilen und, das war A’s größtes Problem, die WLAN-Bandbreite. E nutzte schließlich auch, sehr dankbar, das muss man ihm lassen, die Gelegenheit, über das WG-Netz „WGNETZ“ Filme herunter zu laden. Hätte E seine Dankbarkeit bloß in Erlagscheinen gezeigt!
So wurden die Wochen Monate, und während A, B und C sich darauf verließen, dass D E die Leviten zitieren wird, tat D nichts dergleichen, weil das ja auch eine unglaublich zwickmühlige Situation war. E zeigte seine Dankbarkeit mit gefülltem Kühlschrank, und da ihn niemand fragte, ob er Betriebskostenanteile mitzahlen wolle, war er natürlich auch nicht so blöd, das Thema aufs Tapet zu bringen.
C jedenfalls fühlte sich am meisten durch das nächtliche – und manchmal auch nachmittägliche – Bumpern und Wumpern gestört, weil ihr Zimmer direkt an das von D (und E) angrenzte. Verbittert, weil sie selbst gerne solche Geräusche und Störungen der Nachbarn produziert hätte, klopfte sie regelmäßig an die Wand, was bei E nur zu Verzögerungen und dadurch Verlängerung von C’s Qualen führte.
A und B hatten zu oft nichts gesagt über E’s Macke, die Klotür nicht zuzusperren. A hatte zu oft in der Früh Stress gehabt, weil E (und immer E) gerade im Badezimmer duschte, was A’s Morgenfortschritt erheblich minderte und seine Morgenlaune erheblich senkte. Dass auch D und C und B unter die Dusche wollten, und oft auch (jeweils) darunter waren, wenn A sich das Duschen einbildete oder geplant hatte, wurde ebenfalls auf E projiziert, der so bald für alles verantwortlich war, was in einem Haushalt so schief laufen kann. D hatte sich geweigert, selbst mehr vom Mietanteil zu zahlen, weil E ja in D’s Zimmer war, und dieses nicht relativ zur Wohnung größer wurde durch den Aufenthalt einer weiteren Person, und da die Miete nach Zimmer und Quadratmeter aufgeteilt war, und weil niemand auf die Idee kam, dass man doch die Zimmerquadratmeter und die Wohnzimmer-/Küchen-/Badezimmer-/Kloquadratmeter für die Rechnung trennen könnte, so dass D und E, oder D alleine, wenn er es so wollte, zwei Fünftel statt einem Viertel der gemeinsam genutzten Fläche finanziell zu verantworten hätten, war die Stimmung von Woche zu Woche schlechter geworden, bis eines Tages C die Flinte warf und den Hut nahm und ankündigte, dass sie nun ausziehen wird, weil das so nicht mehr weiter geht und nicht tragbar ist. D fühlte die Zwickmühle schnappen, als C E sagte, dass D doch schon oft genug etwas gesagt hätte, und wenn E nicht kooperieren wollte, das ein ganz unfeiner (sie benutzte ein anderes Wort, das mir gerade entfallen ist) Zug von ihm war. (Scheißdreckszug, das war das Wort.) E wusste nichts von D’s Vorwürfen und D’s Mittlerschaft, woher auch, sie existierte nur in A und B und besonders C’s Kopf, nie aber realiter und nicht in D. E verteidigte sich mit der Tatsache des vollen Kühlschranks und dass doch nie jemand ein Wort gesagt hätte, und dass er natürlich mitzahlen kann, wenn das gewünscht ist. C aber wünschte das nicht mehr, sondern wollte E und am besten auch noch D aus „ihrer“ Wohnung haben. Von jedem kam nur das Schlechte mehr hervor, und letztlich packte E seinen Koffer und ging. D war darüber sehr erbost. Eine Frechheit, schließlich Gast und auch er zahlt mit und überhaupt, C soll mal runterkommen. C dachte jedoch nicht daran.
A hingegen hatte schon lange genug von C’s Art, aber auch alles auf zu bauschen und in Schwärmen von elephantiasischen Mücken durch die sonst so ruhige WG zu scheuchen, so dass am Ende jede nicht abgewaschene Kaffeetasse ein moralisches Dilemma und inakzeptablen Zustand darstellte. Ja, manchmal wurde dieses oder jenes vergessen, aber es war immerhin A, der schon beim Einzug in die ungeeigneten Gemäuer vorgeschlagen hatte, eine Putzfrau zu engagieren, die zur Seelenruh’ und Raumesblänke herbeigerufen und hinfortbezahlt wird, damit das geplante Wohnquartett in Dekadenz und Sauberkeit den guten Dingen des Lebens nachgehen könne. Doch selbst die durch Vier (E hätte wohl nicht mitgezahlt, war zum Zeitpunkt der Überlegungen aber - fataler Weise - auch nicht Teil der Wohngemeinschaft) geteilten Kosten, die ja dementsprechend niedrig ausgefallen wären, waren gerade B und C zu hoch, um ein Outsourcing in Erwägung zu ziehen. B war weniger das Problem, aber wenn C sich nun beschwerte, und sie tat dies gern, oder zumindest so häufig, dass, täte sie es nicht gern, man ihr Masochismus unterstellen könnte, dachte A jedesmal sehnsüchtig an die Zeit zurück, die er zwar nicht erlebt hatte, aber in der der beste Vorschlag ohne Widerrede von uneinsichtigen Idioten übernommen werden musste, und da er seinen Vorschlag als den besten sah, hätte C keinen Grund zum Ärgernis und die Wohnung wäre regelmäßig von Staub befreit, durch eine neutrale, objektive und bezahlte Person.
Doch so war es nicht gekommen, und während A vom Supermarkt geklaute Bananenkisten mit Kleidung füllte, und sich schwor, der nächsten WG eine Reinigungskraft aufzuzwingen, ärgerte sich B, dass C wohl den Fön geklaut hatte, und D ärgerte sich, dass E nicht von selbst auf die Idee gekommen war, sich an den Wohnkosten zu beteiligen.

Wenige Wochen später zog ein Pärchen in der Wohnung ein, und bekam von all diesen Streitereien, Querelen und aufgeblasenen Mücken nichts mehr mit. Sie wunderten sich jedoch, wer in aller Welt seine Wand rot streichen würde, und beschlossen, auf der Fahrt zum Möbelhaus, dass es am Rückweg notwendig wäre, weiße Farbe zu kaufen.

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