Aufzug

Natürlich bleibt der Aufzug, jahrelang ohne Ausfälle, genau dann stecken, wenn er dadurch sie festsetzen kann. Er weiß um ihren Narzissmus und fügt sich ihm nur zu gerne. Nichts da, hiergeblieben. Wenigstens nicht klaustrophobisch. Der Dame neben ihr steigt schon kalter Schweiß die Poren hinauf. Ich sag doch immer, Stiegen gehen, denkt sie sich, wieso mach ich es nie? Aufzüge sind lasterhafte Lastenträger, oder doch ein lastentragendes Laster? Laster lassen sich leichter tragen, im Aufzug, verbringt ihr Hirn ihre Zeit, fast so schlimm wie Rolltreppen, wenn sie alle auch nicht mithalten können mit diesen Dingern am Flughafen. Kein Haus sollte so hoch sein, dass es eines Aufzugs bedürfte. Aber was ist mit gehbehinderten Menschen? Na dann aber nur Behinderten-Aufzüge, mit Schlüssel? Das ist auch wieder diskriminierend. Aber wer laufen kann, soll laufen! Vielleicht gibt das Schicksal dann doch mal gerne einen Wink mit dem Zaunpfahl, indem eben ein Lift stecken bleibt. Aber wenn dann jemand im Rollstuhl im Aufzug stecken bliebe? Doch das Pamphletisieren und Grübeln hilft weder der schon grün anlaufenden, auch wenn diese ihre Contenance sonst geschult bewahrt bzw. ihre Reize eingetrichtert unterdrückt, noch ihr. Na, drücken wir mal den Notfallknopf. Keine Antwort. Ist heute unser Glückstag, versucht die eine einen Witz, der der anderen gar nicht schmeckt - wie auch, in ihr staut sich das Mittagessen für einen One-Way-Betriebsausflug. Kreidenbleiche schiebt sich über ihr Gesicht, als sie zu hyperventilieren beginnt. Ganz ruhig, atmen Sie langsam, meint sie ihr gut zuzureden, dringt aber nicht durch die Angstmauer, die gerade mit Panik verfugt wird. Da steht eine Telefonnummer, ich rufe die jetzt an, ja? Wir sind gleich hier raus. Bleiben Sie ruhig. Nichts davon dringt durch, was sie als Nicken versteht ist eigentlich nur nervöses Zucken. Dennoch nimmt sie ihr Telefon und wählt den angegebenen Notruf. 24/7 steht daneben. M-hm. Be-setzt. Nochmal. Besetzt. Nochmal. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Komisch. Aber die Feuerwehr möchte man dann auch nicht stören/bemühen. Nochmal den Notrufknopf. Nochmal die Notrufnummer. Kein Anschluss. Langsam wird auch ihr etwas mulmig. Dann doch die Feuerwehr. Akku leer. Scheiß Smartphones! Haben Sie ein Telefon? Kann. Ich. Mir. Kurz. Ihr. Te-le-fon. Aus-. Borgen.? Hallo? Das war zuviel. Zu viel Druck in der engen Kammer. Sie steht auf, greigt in ihre Tasche, hält kurz inne und kotzt ihr Mittagessen aus, quer über alles. Scheiße! ruft sie überrascht und springt zurück, gegen die Wand stößt ihr Kopf, bedrohlich wackelt die Kabine. Pendelt hin und her. Kommt nicht zur Ruhe. Pendelt. Sie, angekotzt und jetzt vielleicht auch berechtigt panisch, schreit jetzt. Dann hört man uns vielleicht, denkt die andere einerseits, hält andererseits den Lärm nicht gut aus. Trotz Wegspringens hat ihre Hose etwas Kantinenfraß vorverdaut abbekommen. Viel Platz gibt es für den Gestank ja nicht einzunehmen, und sehr schnell ist er damit also auch fertig. Während die eine nunmehr heulend und auf endzeitliches Moll gestimmt am Boden hockt, greift die andere missmutig aber hoffnungsvoll in die Tasche der Entleerten, leert sie (die Tasche) wiederum auf den Teil des Bodens, der noch halbwegs sauber ist. Tatsächlich, ein Telefon. Aber ausgeschaltet! Und wie lautet die PIN? Nur Wimmern. Die PIN! Vom Telefon! Ein Schluchzen, keine Antwort, bricht das Wimmern. Da schüttelt sie sie an der Schulter, Die PIN! Die PIN! DIE PIN! Doch nichts hilfreiches, nur ein Schrei Lass mich in Ruhe! Kann sie doch was sagen, jetzt erst recht, ein neuer Ansatz, aber mit Vernunft. Wir wollen beide hier raus, aber dazu brauche ich Ihr Telefon; In meiner Tasche; Ja, ich habe es schon gefunden. Aber die Geheimnummer brauche ich auch; weiß nicht. Weiß ich nicht. Weiß…nicht; Sie schüttelt dabei heftig den Kopf, Weiß…nicht; Aber wie schalte ich es dann an?; In meiner Tasche, Nummer, Tasche; In Ihrer Tasche?; Tasche; In Ihrer Tasche also? Was liegt denn da, Geldbörse, Tampons, Schreibzeug, lauter Scheiß und keine PIN! Wo in Ihrer Tasche?; Nummer; Ja, wo?; Tasche; Das ist zum Verzweifeln; Jaaa…, das in Heulen endet. Wieso muss das so stinken, fragt sie sich zwischendurch immer wieder, es sei repräsentativ jetzt erwähnt. Was ist denn nun dein Code? fragt sie nochmal. Eins Drei Zwei Vier.; Nicht Ihr Ernst, oder? Schnell probieren! Doch ihr Ernst. So ein blöder Code! Aber jetzt, Feuerwehr. Hebt keiner ab. Geh bitte, das ist och nicht möglich. Nochmal. Keiner hebt ab. Nochmal den Notdienst. Vergiss es. Die reguläre Nummer. Hebt keiner ab. Jetzt reißt der angekotzte Geduldsfaden. Sie schreit, die andere heult, die eine sitzt, sie tritt gegen die Tür, hilft nichts, es wackelt nur wieder ein bisschen, jetzt schlägt sie mit beiden Fäusten gegen das Metall, vorhersehbar metallisch dröhnt es zurück, kleine Dellen bilden sich zwar unter Fäusten und Schuh, werden auch tiefer, helfen aber auch nicht. Ein Versuch noch mit Kampfschrei, dann setzt sie sich auf den Boden, der ekelerregenden Masse einen Moment zu lang nicht gewahr, oder vielleicht nur in situationsbedingter Erschöpfung ignorant, es ist ja auch eigentlih egal, man kann alles waschen, und stinken tut es hier sowieso. Aber die Konsistenz! Wah. Die eine keucht, die andere schluchzt, beide wissen, dass sie festsitzen, und doch unterscheidet sie der jeweils antizipierte Ausgang des Szenarios einerseits und die Art des Umgangs damit so sehr... Plötzlich ein Klopfen, dann ein Knacken, von außen, aber keine Kommunikation, mehr wie ein Heizungsrohr, dass im Winter knackt, knackt, knackt, KNALLT! Die Kabine wackelt wieder, stärker als davor, weiter das Klopfen, weiter das Knacken, weiter das Wackeln, ein Aufheulen, ein Aufschreien, die andere steht auf, stemmt sich in die Türe, schreit Hilfe! Hilfe! Hilfe!, versucht, die Tür aufzuzerren, nichts da, noch ein Knall, Wieviel, wieviele Seile halten so einen Aufzug?! Das Telefon, der Notdienst, auch wenn es nichts mehr bringt, Hilfe!, voll Angst klopft sie gegen die Türe, es wackelt noch mehr, dann hört das Knacken auf. Oder? Sie braucht eine Zeit, um sich zu vergewissern, ihr Herz schlägt so laut, dass sie ohne Finger anzulegen ihren eigenen Puls messen kann, vielleicht missversteht sie die Geräusche, tief durch, tief durchatmen, tief tief durchatmen, Sie setzt sich nicht nochmal hin, sagt sie sich, Noch immer liegt die andere am Boden kauernd, unansprechbar, und hat nocheinmal gekotzt, langsam wird auch ihr übel von dem Gestank und der Situation. Wo liegt das Telefon? Jetzt möchte sie es noch einmal probieren, einfach irgendjemanden anrufen, aber da sind keine Nummern im Telefon, und zwar keine einzige, sie hat NICHTS eingespeichert! Nichts! Sie überlegt, welche Telefonnummern weiß sie auswendig, keine natürlich. Sie schaltet ihr eigenes Telefon noch einmal an, vielleicht ist genug Saft fürs Adressbuch nur kurz, bitte…bitte…Vergebens. Willkommen und Akku entladen!, sonst nichts, und aus. Nochmal und wieder nichts. Nochmal den Notruf. Bitte… Bitte komm! Es klingelt! Ja! Es klingelt endlich!

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