Klingeln.

Am Ende eines langen Tages genoss der erschöpfte Herr Hrgmpf ein Bier auf dem Balkon seiner Mezzaninwohnung. Die Baustellen verstummten nach und nach, die Mauersegler schwirbelten hungrig durch die Luft, als verlange die Stadt keine Steuer von ihnen, die brennend ungnädige Sommersonne zeigte sich von der der langen Quälerei der U-Bahn-BenutzerInnen ermattet und fast altersmild, so dass die 32 Grad im Schatten, verglichen mit den Saharatemparaturen des Tages fast schon erträglich wirkten, wenigstens, wenn man ein Bier in der Hand hat, das den Tag im Kühlschrank verbracht hat, in welchem man es sich ja auch selbst gerne bequem gemacht hätte, wenn auf Nichterscheinen am Arbeitsplatz nicht eine Kündigung gedroht hätte. So galt es also, den Arsch unwiederbringlich auf einem ergonomisch getüftelten Bürostuhl neidvoll an ein Freibad denken und auf Feierabend warten zu lassen. Nun, Freitag Abends, alle Unwichtigkeiten entweder erledigt oder ihnen gekonnt ausgewichen, konnte kaum noch etwas die Idylle der grauen Häuserfassaden trüben. Eine Straßenbahn ratterte über das, was die Baustelle von den Schienen übrig gelassen hatte und spuckte ihre Innereien an den Haltestellen auf die Straße, manche mit Taschen, andere mit Rucksäcken, einige mit Einkaufssackerln, alle, vom Sommertag gezeichnet, grauslich vor der Station verlaufend wie eine der Schwerkraft geopferte Kugel Vanilleeis. Sie flossen in Häuser, in Seitengassen, in Banken und Supermärkte, navigierten an Fahrrädern und Autos vorbei, und taten, als hätte das Leben für sie einen Sinn, einen Auftrag, eine Einkaufsliste, dessen/deren Erfüllung, Erledigung, Abhakelung noch als Draufgabe auf den eh schon im sauheißen oder, dank Wundern der Technik, saukalten Büro verschissenen Tag tiefere Weisheit und sexuelle Befriedigung als Belohnung verspräche. Da freute sich Herr Hrgmpf, nahm noch einen Schluck und schloss die Augen. Hier und dort bohrte oder dröhnte es noch, hupte es, rief es, klingelte es und Mauerseglergeräuschte es. Moment, klingelte es? Ja, an der Tür, und schon wieder. Sein Bier auf dem Tischchen stehen lassend arbeitete er sich durch das Luftdickicht zum Flur, drehte noch einmal kurz um, um eine Hose überzuziehen, atmete tief ein und öffnete. Niemand an der Tür, außer dem erhitzten Herrn Hrgmpf. Zurück zum Balkon, den Alltag abkühlen lassen. Keine Störungen wünschend lehnte er sich auf seinem Stuhl, von Seufzen begleitet, zurück, nahm noch einen Schluck und schloss die Augen. Ein Vogelruf, ein Hup- und Fluchkonzert, gleich um die Ecke, eine Altglasentleerung, ein Klingeln. Verdammt nochmal, dachte Hrgmpf, kämpfte sich durch die Luft der Wohnung, wirbelte Wärme auf und fühlte sich gestört, öffnete die Türe und: Niemand. Er horchte, leise atmend, ob da vielleicht jemand seinen/ihren Streich durch Schritte der Flucht auf der Treppe entlarvt, doch bloß ein kalter Hauch, durch alte Mauern dem Sommerbrennen standgehalten, legte sich auf seine verschwitzte Stirn. Hallo? fragte er. Ist da jemand? Nichts. Kurz überlegend, ob er sich mit seinem Bier nicht in die angenehme Kühle setzen sollte, statt sich wieder in die-und der Hitze auszu-setzen, beschloss er, dass ihm so ein warmer Abend dann in einem halben Jahr, wenn wieder gnadenloser Winter den gnadenlosen Sommer abgelöst hat, fehlen wird. Er warf die Tür zu, um noch etwas von der kühlen Luft hineinzukomplimentieren, schwurbelte formlos zurück auf den Balkon, lehnte sich schluckend zurück und schloss die Augen. Der sanfte Lärm lud zum Nachdenken ein, irgendwie ergab das kakophone Herumgemensche auf der Straße eine angenehme Kulisse zum Dösen ab. Vom Bier unterstützt schnorchelte sich Herr Hrgmpf in einen leichten Schlaf. Da redeten viele auf ihn ein, das Wetter zu heiß, zu heiß, Willst du eigentlich noch weiter nein eigentlich ich würd gern schlafen oder Urlaub machen. Trotz all der unterschiedlichen Fips-, Dröhn-, Srrii- und Hupgeräusche verpasste er aber nicht das Klingeln, dass ihn jäh aus dem Traum holte und zur Tür lockte. Geh scheißen, dachte er bei sich, und schloss die Augen wieder. Doch ignorieren, das war zu viel verlangt. Nochmal klingelte es. Und noch ein Mal. Hrgmpf blieb stur. So auch, wer auch immer die Klingel so penetrant betätigte. Hrgmpf nahm noch einen Schluck Bier, von dem man eine angenehme Trinktemperatur nur noch erahnen konnte. In unregelmäßigen Abständen ging das Klingeln noch bis in die Nacht hinein weiter. Irgendwann hörte es auf, und Herr Hrgmpf konnte schlafen. Bis ihn, des Morgens, die ersten Baustellen aus dem verschwitzten Bettzeug kommandierten. Aber heute gehe ich schwimmen, schwor sich Hrgmpf.

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